01.01.2021
Das Wort zum Jahreswechsel
„Ob Sie es glauben oder nicht, da gibt es zurzeit etliche, die kommen überhaupt nicht mehr aus dem Lachen heraus und verdienen sich jetzt eine goldene Nase.“
So beschrieb mir ein Landespolitiker im Frühjahr 2020 die Situation auf meine Frage hin, ob dieser Lockdown nicht für uns alle eine Katastrophe wäre. Diese Entgegnung kam mir in den Sinn, als ich dieser Tage über einer Predigt für den Jahreswechsel saß. Dabei stieß ich auf einen Satz des Apostels Paulus aus dem Römerbrief, in dem es heißt:
„Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.“
Eine meiner Haupterfahrungen aus dem zurückliegenden Jahr ist, dass die von allen geteilte Situation trotzdem von allen Menschen sehr verschieden erlebt und verarbeitet wird: Was dem einen eine Zumutung ist, erscheint der anderen als selbstverständlich angezeigte Notwendigkeit. Was dieser die Tränen in die Augen treibt, eröffnet jenem erfreuliche Möglichkeiten. Verschieden sind die Wahrnehmungen. Verschieden sind die Bedürfnisse. Verschieden sind die Möglichkeiten. Und nicht alles wird wieder gut.
Aus dieser Verschiedenheit erwachsen Spannungen und Probleme, die die ohnehin schwierige Lage noch unerfreulicher machen. In dieser Wirklichkeit einer angespannten Situation haben wir noch für eine Weile unser gemeinsames Leben zu gestalten, auch im gerade beginnenden Jahr.
Die Aufforderung des Paulus sagt mir, dass es dabei gut ist, wenn ich zunächst ganz auf die Befindlichkeit meines Gegenübers schaue: „Wie geht es dir?“, „Was brauchst du jetzt?“
Wenn es um andere Menschen in ihren Bedürfnissen geht, genügt es nicht, einfach hier oder da eine unverrückbare Position einzunehmen. Simple und pauschale Antworten helfen nicht. Wir sollten danach fragen, was der andere benötigt und wie ich ihm darin am besten helfen kann.
Wenn das gelingt, wird es Hoffnungszeichen geben. Wir können zu Hoffnungsmenschen für die Mitmenschen und die Welt werden und können Träger einer Hoffnung sein, die nicht einfach ein naiver Optimismus ist. Der sagt, dass am Ende schon alles irgendwie gut wird. Nein, Hoffnung möchte ich so verstehen wie Vaclav Havel: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“
Ihr Friedemann Witting, Superintendent